Indienreise 1960
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Ich fahre wieder auf die Hauptstraße zurück und wieder westlich. Die Straße ist bis zum Mandira - Staudamm in der Mitte etwa 3 m breit geteert, rechts und links je 1 1/2 m noch befestigt, da­mit sich zwei Fahrzeuge ausweichen können. Die Sonne meint es wieder recht gut. Dörfer werden sichtbar. Die Wege dahin wage ich nicht zu befahren. Ich sehe armselige Hütten aus Holzresten, Kistenbrettern und Stämmen zusammen genagelt ohne Fußboden, mit Strohmatten notdürftig gedeckt. Manche Hütten tragen auch Dachziegel. Der Boden ist hier lehmhaltig und überall werden Ziegel gebrannt. Ich sehe Bauern bei der Getreideernte. Sensen kennt man hier nicht. Das Getreide wird büschelweise mit der Hand ge­fasst und unten mit einer Sichel abgeschnitten. Dann lässt man es zum trocknen liegen. Garben bindet man nicht; wenn es trocken ist, trägt man es in Kopflasten heim. In den Dörfern gibt es Plätze, welche planiert und befestigt sind. Dort wird das 

Getreide mit Dreschflegeln gedroschen (von Hand natürlich) und, wenn ein Wind geht, mit Schaufeln hochgeworfen, so dass sich die Spreu sondert. Nun sehe ich von weitem im Norden den Mandira - Staudamm (eigentlich zwei Dämme). Für indische Verhältnisse ist das schon eine Sehenswürdigkeit. Doch hat hier die Natur gut vorgearbeitet, dass man nur zwei je etwa 100 m lange Dämme zu ziehen brauchte, um das natürliche Staubecken zu vollenden. Auch sind die Dämme nicht höher als etwa 20 m. Ein Kraftwerk liefert Strom; hinter der Mauer dehnt sich das riesige Becken viele Kilo­meter lang und breit; es ist der Sankh, der hier gestaut wird.

Gegen 10 Uhr trete ich die Rückfahrt an - immer links fahren, das ist eine Strapaze. Um 11 Uhr bin ich wieder in der Nähe von Rourkela. Ich mache noch einen Abstecher nach dem Dorf Kalunga. Ich muss durch eine Furt, der Bach ist aber nur 3 m breit. Das gleiche Bild eines indischen Dorfes. Kleinkinder werden von den Müttern mitgeschleppt. Hirten hüten erbärmliche Rinderherden. Viehzucht in unserem Sinne gibt es nicht. Das Vieh frisst, was da ist, und damit genug. Ich hörte, Indien soll das Land mit dem größten Rinderbestand und der geringsten Milcherzeugung sein. Ich gewinne wieder die Haupt­straße und fahre zur Plantsite. Ich bringe Herrn Gr. noch nach Hause und fahre auch heim zum Mittagessen.

Auf den Wagen ist kein Verlass. Daher beschließe ich, am Nachmit­tag in der Nähe von R. zu bleiben. Nach dem Essen fahre ich gleich zum Club baden. Mittagsschlaf in der Sonne. Um halb fünf fahre ich noch mal zu dem Kuli - Markt, der mir von Herrn H. zur Besichtigung empfohlen wurde. Er befindet sich nicht weit vom Club, doch jenseits des Engpasses auf der Plantsite - Seite der Hügelkette. Dort handeln sich die Armen ihren Lebensbedarf ein. In schauerlichen Holzbuden sitzen die besseren Händler und bieten Textilien an. Grelle bunte Tücher für die Frauen und Mäd­chen. Einfache Tuchhändler haben im Freien Leinen gespannt und hängen daran ihre Sachen auf. Alles andere wird auf dem Boden gehandelt. Auf dreckigen Tüchern hat man Schüsseln mit Hülsenfrüchten und Körbe mit Bananen, Apfelsinen, Gurken o.ä. aufge­stellt und. wiegt mit Waagebalken im Handbetrieb. Maßlos laut geht es da zu. Alles schreit und zetert. Ich bin der einzige Weiße mang den Eingeborenen. Man beachtet mich kaum. Ein kleiner Junge bettelt mich an: “Sahib, Sahib...“ - das übrige verstehe ich nicht. Ich schenke ihm 2 N.P. = 2 Pfennige. Nachher fahre ich noch nach Alt - Rourkela. Das hätte ich nicht tun sollen. Hier ist offenbar Wochenmarkt. Die Fülle auf der Hauptstraße ist kaum zu beschrei­ben. Ich gerate mit dem Jeep so ins Gewühl, dass ich kaum voran komme. An Wenden ist nicht zu denken. Jetzt das Gleiche zurück. Vor lauter driving kann ich kaum was beobachten. Ich werde näch­sten Sonntag ohne Wagen hierher kommen.

Ich bringe dem stotternden und fehlzündenden Wagen zu Gr. und schlendere über den New Market Rourkela im Sektor 5. Dort ist mir ein Laden empfohlen worden. Ich kaufe einen Teppich aus Lamawolle und eine goldbestickte Stola, auch aus Lamawolle, beides aus “Cashmere“. Per Rikscha home.

18. November 1960

Heute habe ich mir im Walzwerk am Walzgerüst der Grobblechstraße eine Platzwunde am Kopf durch Stoß zugezogen. Abends suche ich das Krankenhaus auf. Wunde muss genäht werden. Wunderhübsche Anglo - Inderin als Assistentin. 19.30 Uhr Cocktail - Party mit Herrn L. (neuer Siemens of India-Manager in Calcutta). Ausgerechnet heute.

Ich erscheine mit Pflasterverband. 21.00 Uhr Abfahrt zur Gesangsveranstaltung des Lions - Club: Indische Gesänge. Seltsamer Eindruck.

Die Veranstaltung fand in einem zeltartigen Gebilde auf einer zu niedrigen Bühne statt. Übertragung durch eine schauerliche Lautsprecheranlage. Es wurden einheimische Ge­sänge geboten. Die Gesangs- und Instrumentalgruppe hockte im Schneidersitz auf dem Boden der Bühne. Der Solosänger gestikulierte, z.T. Sprechgesang. Der Gesang wirkt dadurch näselnd, da auch Konsonanten wie L, M, N mit Tönen bedacht sind. Die meisten “Foreigners“haben um 23 Uhr genug und gehen. Auch Stahlkocher“ Dr. H. war da.

19. November 1960

Nachmittags bin ich bei W. zum Kaffee. Ki´s sind vom Urlaub zurück und auch dabei. Für nächsten Sonntag bin ich bei ihnen zum Sonntagsausflug eingeladen. Auch eine Dia - Vorführung über Ki´s frühere Urlaubsreisen soll steigen.

Sonntag, 20. Nov. 1960

8.30 Uhr fahre ich mit Herrn Ki. zum Club. Ich bin den ganzen Tag im Schwimmbad. Nach dem Abendessen gegen 18 Uhr gehen Ki´s und ich zum indischen Tanzabend in der Freilichtbühne, veranstal­tet von der Air India. 12 Tänze werden vorgeführt. Die Dar­bietung ist großartig. Man wählte ein für Europäer verdauliches Programm, d.h. die ein­zel­nen Stücke sind nicht zu lang. Die Tänzer und Tänzerinnen leisteten sehr gute Arbeit. Vor allem imponierten mir die Fingerbewegungen der Tänzerinnen. Die Tänze hatten alle einen konkreten Inhalt, der dem täglichen Leben der Eingeborenen ent­nommen ist. Fischer, Jäger bei der Arbeit; Liebe und Duell usw. Das Programm dauerte von 20 bis 22.45Uhr. Trotzdem wurde es nicht langweilig.

Sonntag, 27. November 1960

Vormittags im Schwimmbad.

Nachmittags: Sportfest in der Missionsschule Hamirpur. Ich fahre mit Ki´s hin. Um 13 Uhr geht es los. Wir sehen gute Leistun­gen in dem Rahmen, wie man es in einer Schule er­warten kann. Die Burschen setzen sich ein. Die meisten tragen zerschlissene Klei­dung. Das Schulgeld beträgt etwa 10 Rs p.M., dazu noch Naturalien. Die Schule ist als Internat aufgezogen. Die Schüler schlafen und leben in einem großen Saal, jeder auf einer zu­sammenrollbaren Matte. Als Preise gibt es am Schluss des Festes Hosen, Hemden, Strümpfe, Pullover und Urkunden. Hier kann man herzliche Freude über die Gewinne fest­stellen. Die Dinge stellen für die Einzelnen sehr große Werte dar.

Es handelt sich am eine katholische Missions - Station mit einer bunt zusam­mengewürfelten Patres - Mannschaft: ein Pole, zwei Eng­länder, zwei Deutsche. Es war ein sehr eindrucksvolles Fest. Heute ist 1. Advent: Badehosen - Advent.

28. November 1960

Heute kommt Herr Ech. mit Frau aus dem Urlaub aus Ceylon zurück. Wir leiten die Preliminary - Acceptance in die Wege und meine Arbeit nähert sich dem Abschluss. Ich stelle mit Herrn E. zusammen, wie wir die endgültige Ausführung der technischen Unter­lagen aufziehen wollen. Ich konzipiere, was ich noch hier in R. tun muss. Nachmittags hat Herr Nie. Hochzeit in der Hamirpur – Missions - Station. Ich kann die kirchliche Trauung leider nicht besuchen, da mir 5 Min. vor 12 Uhr eine Störung auf Sprechstelle RI 942 gemeldet wurde. Ich muss hin auf die Plantsite. Mittags Licht – Luft – Sonne - Wasser. Später Störungsbeseitigung. Abends kommen die Kollegen von der Hochzeit. Ich hatte mit den Damen vereinbart, nach der Hochzeit zur Missionsschwester zu gehen, um einige schöne Tischdecken (Handarbeiten der Missionsstation Ghaipira) zu besichtigen. Das fiel nun auch ins Wasser. Frau Ki. konnte arrangieren, dass die betreffende Schwester noch einen Tag länger bleibt, extra meinetwegen.

Abends Nachricht: Ansteckende Krankheit im Club (Personal). Club und Schwimmbad bleiben leider bis auf weiteres geschlossen.

29. November 1960

Heute bereite ich meine Flucht vor. Herr Da. und ich vereinbaren:

Montag         12.12.          ab Rourkela (abends)
Dienstag       13.12.          Calcutta (morgens)
                                      Calcutta (nachm.), an Benares (abends)
Mittwoch       14.12.          ab Benares (nachm.) an Agra (abends)
Donnerstag    15.12.          ab Agra (nachm.) an New Delhi (abends)
Freitag          16.12.            und Samstag, 17. 12. New Delhi
Sonntag        18.12.          ab New Delhi 2.00 Uhr über Teheran nach Frank­-
                                      furt, an Sonntag 18. 12. 12 Uhr. Alles vorbe-
                                      haltlich der Buchungsmöglichkeit.

Mittags keine Bademöglichkeit, da Club geschlossen.

1. Dezember 1960

Vormittags technische Beschreibung verfasst, Wochenbericht dik­tiert. Blockstraße studiert.

Abends ist fast Vollmond. Ich starte zu einem Spaziergang um 19.30 Uhr und gehe am indischen Krankenhaus vorbei zur Hamirpur - Station. Dort komme ich aber in Richtung Koel nicht weiter. Ich gehe ost­wärts durch den Dschungel. Die Lichter der Hamirpur - Station ver­schwinden langsam und ich bin allein. Im Mondschein kann ich mich gut zurechtfinden. Ich gehe schmale Trampelpfade über harten Boden. In der Ferne heulen Schakale, Fledermäuse huschen vorbei. Leichter Dunst breitet sich im Norden aus, wo der Koel fließt. In ei­ner Baumgruppe zweigt ein Pfad Richtung Fluss ab. Vögel flüchten mit seltsamen Lauten aus dem Geäst. Ich schlage den Weg zum Fluss ein. Immer mehr zeigt die Erde Risse und Spalten. Sie stammen offenbar aus der Monsunzeit, in der die Wassermassen zum Fluss streben. Ich gelange schließlich durch ein trockenes Bachbett an das Südufer des Koel. Etwa 10 m nach unten führt der Pfad direkt in das Flussbett. Es ist hier schätzungsweise 600 m breit. Gut 200 m gehe ich auf Sandboden bis zum Wasser. Der Fluss ist flach. Man könnte sicher hindurchwaten. Der Wasserlauf ist etwa 200 m breit und jenseits sind es etwa noch mal 200 m bis zum Nordufer. Das Wasser fließt träge dahin und verursacht keinen Laut. Von Ferne höre ich aus dem Busch Trommeln und Gesang. Über dem Busch - Wald, aus dem diese Geräusche dringen, steht im milchigen Monddunst der Orion. Ich gehe den Pfad zurück bis zur Baumgruppe. Dort wende ich mich wieder ostwärts dem Geräusch und dem Gesang zu. Der Pfad wird zum Weg, der rechts und links deutlich begrenzt ist. Auf einmal tauchen beiderseits des Weges Hütten auf, aus denen hin und wieder ein schwacher Lichtschein von offenem Feuer dringt. Dunkle Gestalten begegnen mir. Ich fühle die Blicke auf mich ge­richtet. Der Trommelklang kommt vom jenseitigen Ende des Dorfes. Mir ist nicht besonders wohl zumute. Aber zum Umkehren ist es zu spät. Ich schreite aus und sehe durch eine Lücke im Wald von Ferne die elektrischen Lichter von Rourkela. Nun ist auch zu sehen, wo der Trommelklang und der Gesang herkommt. Am Dorfausgang steht eine große Hütte, in welcher ein Feuer flackert. Die Hütte hat kaum Seitenwände. Gestalten sitzen um das Feuer herum und singen. Ich höre nur Männerstimmen. Einige schlagen Trommeln mit der Hand. Der Weg gabelt sich und ich wähle die südliche Richtung.

Zwei Kühe tauchen aus dem Dunkel auf und ziehen mit ‘Muh‘ an mir vorbei. Ich lasse das Dorf hinter mir und strebe den Lichtern zu. Der Weg verzweigt sich wieder in viele Pfade und ich gelange im großenBogen wieder zum Ausgangspunkt zurück.

Dieser Abend war ein Erlebnis.

Samstag, 5. 12. 1960

Vormittags Diktat und Zeichnungen geändert. Gegen 17 Uhr schlen­dere ich zum New Market und kaufe einen Pullover, da es morgens sehr kalt ist.


 

 
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