Indienreise 1960
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Freitag, 4.11.1960

Trotz großer Müdigkeit ist die Nacht nicht sehr angenehm. Der Zug hält sehr oft. Der Schlafwagen schlingert stark trotz Höchstgeschwindigkeit von 50 km pro Stunde. Die Lagerstatt ist sehr stramm gepolstert. Die Fenster kann man natürlich nicht öffnen, da der Wagen klimatisiert ist. Die Scheiben sind zwar noch durchsichtig, aber stark verschmutzt und z.T. angelaufen. Die indische Eisenbahn fährt offenbar mit russischer Spurbreite von 1440 mm. Die Wagen sind sehr breit. Im Abteil könnte man tanzen. Gegen 2 Uhr nachts werde ich wach. Wir passieren trostlose Bahnhöfe. Stationsschilder sind auf dem Bahnhof des großen Dorfes, wo wir jetzt halten, nicht zu entdecken. Der Bahnsteig ist mit Menschen dicht belegt, die offenbar auf den Gegenzug warten, der nach Calcutta fährt. In Gruppen liegen sie schlafend oder hocken im Kreise und palavern. Zwischen ihnen liegen Bündel und Kisten. Ab und zu geht der Stationsvorsteher in einer phantasievollen Uniform durch die Menge und blickt um sich. Frauen tragen ihre Kinder bei sich, meist in einem Tuch um den Leib gebunden, wie man es von Bildern her kennt. Viele kauen Betel und spucken ab und zu roten Saft aus. Ich kann mich an diesem Bild nicht satt sehen. Die Nächte sind sehr warm und dabei noch in dieser Jahreszeit die kältesten. Rein gesundheit­lich und vom Klima her gesehen ist es also völlig gefahrlos, auf dem Boden zu schlafen. Die Steine werden niemals kalt.

Der Zug fährt weiter. Gegen vier Uhr kann ich wieder einschlafen, werde aber um halb sieben erbarmungslos geweckt. Das bestellte Frühstück wird nämlich nicht im Zug zubereitet, sondern auf der Station, welche der Zug um sieben Uhr gerade passiert. Trotzdem freue ich mich, weil es nun bald Frühstück geben soll. In Erinnerung an den dürftigen Kaffe bei der „Air India“ habe ich mir schon vorsichtshalber Tee bestellt, der dann auch das einzig Gute am Frühstück war. Die zwei Eier schienen zwar frisch, waren aber, statt hart gekocht, offenbar nur leicht angewärmt. Natürlich konnte man sie so unmöglich genießen. Zwei Scheiben “geröstetes“ Weißbrot hatten offenbar auf einer schmutzigen Herdplatte gelegen. Die Butter war ranzig und das Geschirr bestimmt wochenlang nicht gespült. Ich brachte mit Mühe einige Bissen trockenen Brotes herunter und ließ den Spaß wieder abräumen. Beschweren kann man sich nirgends, es hätte auch keinen Zweck. Dem Wagenmeister kann man auch nichts sagen, der ist nicht zuständig. Bezahlen muss man auch, sonst ergreifen die Kerle womöglich noch Repressalien. Möglichkeiten gibt es ja genug. Der Tag fängt gut an. Wir lassen nun Station um Sta­tion vorbeidefilieren und man hofft, dass auch diese Fahrt bald zu Ende sein wird.

Um 9.30 Uhr sind wir endlich in Rourkela. Der Bahnhof ist ver­gleichsweise riesengroß. Man arbeitet an neuen Gleisverlegungen. Kulis waren vor Halt des Zuges aufgesprungen und reißen uns jetzt die Koffer aus der Hand. Auf den Bahnsteig werde ich nun von Herrn Ech. vom SSW - Baubüro in Empfang genommen. Der Kuli legt den Koffer ins Auto und wartet. Ich hatte mir vorher sagen lassen, was man den Leuten hier gibt: eine halbe Rupie. Das sind also 44 Pfennig. Für 100m Koffertragen ein angemessener, sogar reichlicher Lohn für indische Verhältnisse. Aber hier sind die Preise schon verdorben. Er sagt, das wäre nicht genug, er müsste eine ganze Rupie haben. Mein Begleiter zeigt mir schlicht, wie man das deichselt. Er lässt sich die hal­be Rupie wieder herausgeben, gibt sie mir zurück und sagt zu dem Kuli: “Dann kriegst Du gar nichts“. Er fängt an zu jammern und klagt in seiner Heimatsprache. Er will unbedingt eine ganze Rupie haben. Ich halte ihm die halbe Rupie wieder hin. Er nimmt sie nicht. Herr Ech. gibt dem Fahrer das Zeichen zum Abfahren. Wir fahren an. Zum letzten Male halte ich dem Kuli das Geldstück hin. Jetzt nimmt er es. Wir fahren zum Montagebüro. Der Fahrer ist ein Sikh und trägt einen roten Turban. Die Sikhs sind eine re­formierte Abspaltung der Hindus. Sie schneiden sich weder das Kopfhaar noch den Bart. Das Kopfhaar wird in den Turban eingebunden und der Bart mit einer Bartbinde gebändigt.

Das Baubüro liegt mitten in dem riesigen Werksgelände beim Walz­werk. Es besteht aus mehreren klimatisierten Räumen und Nebenräumen ohne Klimaanlage. Es lässt sich gut aushalten hier. Herr Ech. geht am Samstag für 3 Wochen in Urlaub nach Ceylon. Ich werde dann an seinem Schreibtisch sitzen, um hier die an­fangs nötigen Vorarbeiten zu leisten.

Das Werksgelände umfasst ca. 4 km im Quadrat. Hier sind angeordnet:

·         1 Hüttenwerk mit 3 (später 4) Hochöfen

·         1 Stahlwerk

·         1 Warmwalzwerk mit verschiedenen Straßen

·         1 Kaltwalzwerk sowie die dazugehörigen Nebenbetriebe und

·         1 Kraftwerk.

Zuerst werde ich natürlich herumgereicht. Alle Formalitäten werden reibungslos abgewickelt. Ich habe den Eindruck, hier mit ausgesprochen netten Menschen zusammen zu sein. Von 12 Uhr bis 15.30 Uhr ist Mittagspause. Herr Ech. lädt mich zum Essen ein. Wir fahren zusammen mit seiner Frau, die als Sekretärin auch im Baubüro arbeitet, in ihren Bungalow. Das Fabrikgelände wird hier mit Plantsite und die Wohnsiedlung mit Township bezeichnet. Zwischen beiden liegt eine Hügelkette. Etwa 10 km Entfernung sind es zwischen der Plantsite und der Township. Hier bewohnen nun die Familien je einen Bungalow und Ledige zu mehreren einen. Die Bungalows sind keine raffinierten Bauwerke, aber zweckmäßig - einfach. Um jeden herum erstreckt sich ein Garten. Zum Haus ge­hört ein Koch und zum Garten ein Gärtner. Familien halten sich meist noch eine Frau zur Instandhaltung der Wäsche. Einkaufszentrum und ein „German Club“ sind, vorhanden.

Gut bürgerliches Mittagessen bei Ech.s. Nachmittags neh­me ich Verbindung mit dem Monteur auf, der im vorigen Sommer mit mir in Hannover zur Einweisung war. Die Montage ist fertig und meine Arbeit kann nun beginnen. Heute tue ich aber noch nichts außer Vorbesprechungen mit allen, die damit etwas zu tun haben. Meine Unterkunft ist inzwischen geregelt. Ich wohne mit noch einem Herrn zusammen in einem Bungalow. Herr E. ist Obermonteur bei einer Pumpenfabrik in Frankenthal/Pfalz. Er ist auch im Auftrag von SSW hier. Er kommt geradewegs aus Japan. Der Bungalow hat drei Räume. Den dritten bewohnt z. Zt. Herr M., ein SSW - Ingenieur, den ich von Deutschland her kenne; wir haben zwei kombinierte Projekte miteinander bearbeitet. Er ist in Calcutta beschäftigt und hat auch seine Familie mit, da er zu Siemens Calcutta abgestellt ist. Er hat seine Frau mit nach Rourkela gebracht. Die beiden hauen aber bald wieder ab. Der Bearer (Koch) soll in Ordnung sein. Man kann da böse reinfallen.

Ich komme abends nach Feierabend mit Herrn W. hier an und dachte, nun gäbe es Abendessen. Doch der Bearer erklärt, er habe für mich noch nichts vorbereitet, er habe ja noch kein Geld dafür. Er ist sehr gewissenhaft und teilt genau ein. Herr W., der mit seiner Frau den Nachbar - Bungalow bewohnt, lädt mich zum Abendessen ein.

Ich werde mit Herrn W. nun immer zur Arbeitsstätte fahren. Die Ingenieure der Baubüros haben zugeteilte Personenkraftwagen und nehmen diese und jene aus der Nachbarschaft mit. Monteure und indische Fachkräfte fahren mit Omnibussen. Die Kulis werden mit Lastwagen befördert.

Morgen, Samstag, wird nur bis Mittag gearbeitet. Es ist hier noch 48 - Stundenwoche. Was sollte man auch mit einem langen Wo­chenende.

Samstag—Sonntag—Montag wird hier ein Oktoberfest inszeniert im deutschen Klub mit Brathähnchen, Bier, Würstchen usw. Ich bin mal gespannt.

Samstag, 5.November 1960

6.00 Uhr Aufstehen. Jetzt wird´s ernst. Frühstück: 2 Spiegeleier, Röstbrot, Butter, Käse (Schafskäse, schmeckt prima!), eine hal­be Pampelmuse mit Zucker, jede Menge Orangen und Bananen. Die Orangen essen wir hier zentnerweise. Es ist eine eigenartige Sorte, die man in Deutschland nicht kennt. Eigentlich ist es ein Mittelding zwischen Mandarine und Orange. Im reifen Zustand ist die Frucht noch teilweise grün, weist lediglich einige gelbe Flecken auf. Die Schale ist so dünn wie die einer Mandarine, jedoch enthält das Fruchtfleisch viel weniger Kerne als die bei uns bekannten Mandarinen. Die Größe ist die einer mittle­ren Orange, der Geschmack liegt etwa in der Mitte zwischen Mandarine und Orange mit leichtem Überwiegen des Orangengeschmackes.

 

Es ist eine köstliche Frucht. Sie soll sich zum Export nicht eignen, da sie auf den langen Transportwegen zu leicht verdirbt.


 

 
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