Tagebuch meiner Indienreise 1960
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Mittwoch, 2. November
13.33 Abreise mit Schnellzug nach Frankfurt. Ankunft 15.07 Uhr. Vom Hauptbahnhof mit Omnibus zum Rhein - Main - Flughafen. Die Atmosphäre dort nimmt mich gefangen. Ein seltsames Gefühl vor einer großen Reise. Ich erhalte einen Gutschein von der Air India und setze mich ins Cafe. Der Koffer wurde mir bereits am Stand der Air India entrissen. Er geht als Reisegepäck extra.
Die Zeit verstreicht langsam. 17.45 Uhr wird in Deutsch, Englisch und Italienisch per Lautsprecher abgerufen. Vor dem Ausgang zum Freigelände wartet ein Omnibus. Das Flugzeug ist eine Boeing 707 mit vier Strahltriebwerken, ein mächtiger Apparat. Er fasst etwa 150 Personen, 96 in der Touristenklasse, den Rest in der ersten Klasse. Wir erhielten zuvor Platzkarten. Icke natürlich am Fenster, Platz 8A. Die Sitze sind verstellbar. Die Maschine ist, jedenfalls in der Touristenklasse, bis auf den letzten Platz besetzt. Neben mir sitzt ein Monteur der Firma Sack, der Ölleitungen und Tanks in Rourkela montieren soll. Gleich geht´s los mit der Fresserei: “Do you like a sweet?“. Zwei exquisit rassige indische Mädchen steigen durch die Reihen. Punkt 18 Uhr heulen die Düsenantriebe auf und der große Vogel fährt wie ein Riesenomnibus zum Startplatz. Die Startbahnen sind mit Lichtern markiert. Als die Düsen brüllen, geht ein Zittern durch die Maschine und mit großer Beschleunigung geht die Reise los. Im letzten Drittel der Startbahn hebt sich das Flugzeug vom Boden und schießt ziemlich steil in die Höhe. Zusehends werden die Häuser kleiner und schon schweben wir aber Frankfurt. Das Flugzeug gewinnt schnell Höhe. Die allgemeine Spannung löst sich und man unterhält sich gedämpft. Viele Sprachen kann man hören. Die Klimaanlage ist in Betrieb. Über jedem Platz ist ein Aggregat angebracht mit Luftdüse zum Anpusten, Leselampe und zugehörigem Schalter. Wir sind kaum 20 Minuten geflogen, tönt es aus dem Lautsprecher: „You see below Stuttgart“. Ich kannte es tatsächlich wieder. Königstraße, Bahnhof usw. waren am Verlauf der Beleuchtungskörper deutlich zu erkennen. So lange war ich also nach Frankfurt gefahren, um in wenigen Minuten wieder zurückbefördert zu werden, nur eine Etage höher. Nach Angaben des Kapitäns flogen wir ca. 12000 m hoch. Zum Glück war über Stuttgart keine Wolkendecke. Weiter südlich über den Alpen war allerdings nichts mehr zu sehen. Über Mailand war es wieder klarer. Ich konnte die Via Emiglia — unseligen Angedenkens - gut erkennen. 19.45 Uhr landeten wir pünktlich in Rom. Raus aus dem Vogel, rein in das Flughafen-Restaurant, einen Drink auf Kosten der Air India. Es war in Rom nicht wärmer als bei uns daheim. 45 Minuten Aufenthalt - und weiter ging´s. Der Flug über das Mittelmeer war uninteressant, da nichts zu sehen war. Ein Steward gab Anweisungen, wie man sich im Falle einer Notwasserung zu verhalten habe. Später döste alles. Bevor ich aber zum Schlafen kam, meldete der Lautsprecher: “In a few minutes we are landing on Cairo Airport“. Um 23.00 Uhr unserer Zeit rollte die Maschine aus. In Cairo war es schon Mitternacht. Hier erwarteten mich die ersten exotischen Eindrücke. Im Flughafen - Restaurant bedienten Kellner mit roten Türkenkäppchen und wallenden weißen Gewändern. Die Zitronenlimonade schmeckte leicht faulig. In Cairo war es schon merklich wärmer.
Donnerstag, 3. November
0.55 Uhr Cairoer Zeit starteten wir wieder. Ich meine, im Norden Geschützfeuer zu sehen. Vielleicht kampeln sich die Ägypter wieder mit den Juden. Nun kommt die Müdigkeit mit Macht. Ich klappe den Sitz zurück, aber für einen guten Schlaf ist es zu unbequem. Ich penne trotzdem etwa drei Stunden. Ein herrliches Morgenlicht weckt mich. Der indische Ozean unter uns liegt noch im dunklen Dunst, der Himmel über uns ist fast schwarz, nach dem Horizont zu wird er immer blauer, bis azurblau. In helles, goldiges und rötliches Gelb übergehend zeichnet sich die Stelle ab, wo die Sonne aufgehen wird. Es ist etwa 7.00 Uhr indischer Zeit; ich habe meine Uhr bereits neu eingestellt, d.h. 4 1/2 Stunden vor. Statt 10 Minuten nach 3 Uhr deutscher Zeit ist es nun 20 Minuten vor Acht und die Nacht ist herum. Bei aufgehender Sonne wird Frühstück gereicht.
Wir schweben hoch über dem Indischen Ozean, der nun in voller, blaugrüner Nacht, von der Sonne beleuchtet, unter uns liegt. Weit und breit ist kein Land zu sehen. Die Spannung wächst, bald müssen wir den indischen Subkontinent erreichen. Im Nordwesten taucht er nun auf, vorerst nur als schwache Begrenzung der Ozeanfläche erkennbar. Es muss die Küste in der Nähe von Karatschi sein. Gegen 9.00 Uhr können wir das Land deutlich erkennen. Wir schweben auf Bombay zu. Als die Maschine tiefer geht, lassen sich Einzelheiten erkennen. Im Tiefflug geht es über den Westteil der Stadt auf die Landebahn zu. Der erste Eindruck von Indien ernüchtert sehr. Zerfallene Buden, in denen braune Gestalten hausen, bestimmen das Bild der Außenbezirke von Bombay. Der Flugplatz ist imposant, das Innere der Gebäude aber weniger. Es macht alles einen schmuddeligen Eindruck. Es ist so warm, dass man Lust verspürt, die Badehose anzuziehen. Die Sonne brennt mit aller Kraft, man sucht den Schatten und in den Gebäuden surren die Ventilatoren. Drink und Imbiss gibt es und um 10.30 Uhr rauschen wir wieder ab. Es ist zwar eine andere Maschine, aber vom gleichen Typ. In Bombay sind die meisten ausgestiegen. Nur noch ein Viertel aller Platze ist besetzt. Nun gibt es Mittagessen, aber interessanter ist die indische Landschaft. So lange wir noch nicht allzu hoch sind, kann man die fremdartigen Bäume bewundern, die seltsamen Blüten und einige bestellte Felder. Von großer Höhe aus sieht man Indien wie auf einer Landkarte. Dörfer, Berge, Wälder, dazwischen Wege und Tümpel. Keine einzige feste Straße konnte ich entdecken, wohl aber eingleisige Eisenbahnen. Auf halbem Wege nach Calcutta ist es plötzlich aus mit der guten Sicht. Wir fliegen über einer dichten Wolkendecke. Sie leuchtet so blendend weiß, dass man nicht mehr hinausschauen mag. Es ergreift mich eine große Ungeduld, die Zeit wird mir lang. Endlich taucht das Flugzeug in die Wolken - unter uns liegt Calcutta. Ich sehe auch schon den Flugplatz. Es ist genau 12.45 Uhr, als wir landen. Pünktlicher geht es nicht. Gemessenen Schrittes als Letzter die Gangway hinunter. Unten empfängt uns ein freundlicher Herr: Verzeihung, sind Sie Deutscher?“
Er stellt sich vor und als ich meinen Namen nenne, sagt er gleich:
„Sie werden erwartet“. Es war Herr Re. von der Air India.