Indienreise 1960
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Er geleitete uns durch die Fährnisse des Zolls und der sonstigen Behörden und lieferte mich draußen einem Inder ab, mit dem ich mich englisch ganz gut verständigen konnte. Der Inder (Halbblut) ist vom Transportation Office Calcutta der SSW. Wir steigen in ein bereitstehendes Auto, das etwas Abenteuerliches an sich hat. Ein Kuli trug meinen Koffer und deponierte ihn im Gepäckraum des Wagens. Es ist eine schwüle Hitze, kein Regen. Der Inder ist nicht der Fahrer des Wagens, sondern etwas Besseres. Der Fahrer ist zwar auch mit europäischem Hemd und europäischer Hose be­kleidet, sieht aber ärmlich aus. Er scheint aber wieder etwas vornehmer zu sein als der Kuli, der, mit ca. 10 Pfennig Trink­geld bedacht, sich mit einigen Verbeugungen aus dem Staube macht. Wir fahren nun auf holperigen Straßen nach Calcutta hinein. Ich sauge die ersten Eindrücke des Lebens und Treibens in einer indischen Großstadt in mich hinein. Die Düfte des Orients rauben mir schier die Luft; bestialischer Gestank fast durchweg. Man kann ihn nicht definieren. Er mischt sich offenbar aus dem Ge­ruch der indischen Speisen während der Zubereitung, indischem Parfüm, Kuhmist und Jauche. Auch Räucherstäbchen werden abgebrannt. Die Masse der Menschen tummelt sich auf der Straße. Sehr viele Kinder sind zu sehen. Die Leute sind mit einem einfachen Tuch bekleidet, das kunstvoll geschlungen, den Körper der Männer halb, der Frauen ganz bedeckt. Wie mir der erstgenannte Inder sagte, ist ein religiöses Fest (kleineren Ausmaßes) im Gange. Der Lärm ist groß. Alles johlt und schreit. Die ersten weißen heiligen Kühe haben wir bereits kunstvoll umfahren. Es gibt auch Straßenbahnen hier. Die Menschen hängen draußen auf den Tritt­brettern wie bei uns in den ersten Nachkriegsjahren. Es sind Bahnen englischen Fabrikates mit drehbar gelagerter Trolleyrolle. Im Stadtinneren wird das Gewühl immer dichter. Nach englischem Vorbild wird hier links gefahren. An jeder Kreuzung müssen wir halten. Die Verkehrssitten sind rau. Ich konnte mit Mühe ein Auto entdecken, das auf den ersten Blick keine Schrammen oder Beulen aufwies. Die Lastwagen stammen von anno Tobak. Die Nummernschilder sind handgemalt und tragen keinen Stempel oder dergleichen. Der Fahrverkehr ist sehr stark. Last- und Personenwagen aller Fabrikate (keine deutschen!) kann man bewundern, fast alle aber in einem grauenhaften Zustand. Auch Rikschas gibt es hier, gezogene und solche, an denen vorne eine Art Fahrrad angebaut ist, bei denen also der Kuli strampelt und mit einer Lenkstange lenkt.

Auf den Straßen ist pausenloses Hupkonzert zu hören. Massenhaft sind noch Hupen mit Ball und Horn zu sehen, auch Hupen, die einen I-A-Laut von sich geben. Endlich kommt das Siemens - Haus in Sicht. Wir fahren aber weiter zum Grandhotel. Man hat dort für mich ein Zimmer bestellt, damit ich mich baden und umziehen kann, sehr aufmerksam. Ich steige also um 14.00 Uhr etwa dort ab und gehe in mein Zimmer. Klima - Anlage ist ein­gebaut; schön kühl hier. Mir kleben die Kleider am Leibe. Der Inder sagt mir, er käme mich in 1 1/2 Stunden holen zum Büroleiter (Halske) bei Siemens of India. Okay. Als die Tür ins Schloss fällt, reiße ich mir die Kleider herunter: ´rin in die Badewanne. Aber das Wasser aus der Leitung ist auch sehr warm. Duschen ist da effektvoller. Nach Rasieren und so ziehe ich mir mit Won­ne die mitgebrachten Sommersachen an. Nun ist auch die Zeit schon verstrichen und es klopft. Der Inder ist wieder draußen und holt mich ab. Das Siemens - Büro macht einen guten Eindruck. Nur 4 Deutsche sind dort tätig. Herr A. M. erwartet mich und begrüßt mich freundlich. Wir kommen ins Gespräch und unter­halten uns über Land und Leute, Geschäfte, technischen Kram und so weiter. Alle sind sehr nett und zuvorkommend. Ich freue mich über die Betreuung als Fremder im fremden Land ganz beson­ders. Herr M. tut ein Übriges und lädt mich zum Essen ein. Er will mich um 19 Uhr im Hotel abholen. Bis dahin sind noch fast drei Stunden. Ich erkundige mich nach Einkaufsmöglichkeiten und wieder wird mir der bekannte Inder zugesellt, mich in das Einkaufszentrum zu führen. Ich kaufe mir Gabardine - Hosen, Hem­den, Unterwäsche, alles zusammen für 127 Rs, das sind etwa 112,- DM. Bei der guten Qualität der Sachen ist das sehr billig. Ich erstehe außerdem noch eine Kolleg - Mappe für Rs 20,-,etwa 18,- DM.

Shopping ist zu Ende. Der Markt (New Market) ist riesig inter­essant. Nach Art unserer Markthallen sind dort lauter geschlos­sene Stände untergebracht, die jedoch alle Ladencharakter tra­gen. Größe des Ganzen: etwa ein Straßenviertel. An den Eingän­gen stehen Kinder und Halbwüchsige mit geflochtenen Körben und bieten sich dem Sahib als Einkaufsbegleiter an. Man muss sie wegscheuchen, sonst sind sie wie die Kletten. Es ist gut, dass “mein“ Inder dabei ist. Er weiß Bescheid. Er hat mir auch gute Dienste beim Einkauf geleistet. Wie mir später gesagt wurde, soll ich froh sein, dass ich nicht in den Lebensmittelabteilungen gewesen bin. Namentlich bei “Fleisch“ herrscht dort angeblich ein solcher Gestank, dass es kein Europäer aus­hält.

Wir fahren nun ins Hotel. Eine Stunde bleibt mir noch, bis Herr M. eintrifft. Mich drängt es auf die Straße. Ich gehe etwas in Richtung Stadtzentrum. Aber es ist kein reines Ver­gnügen. Erstens rennt man in diesem Ameisenhaufen alle drei Schritte jemand um, oder man wird selbst umgerannt, oder man tritt einem schlafenden Kuli auf die Beine oder einem Hund auf den Schwanz. Zweitens sehen die Leute einem an, dass man fremd ist und bieten sich an, die Stadt zu zeigen oder wollen dieses oder jenes verkaufen. Im Zeitraum von etwa 5Minuten wollen mir 4 Halbwüchsige eine Taxe bestellen, weil sie sich offenbar nicht vorstellen können, dass ich ein Stück gehen will. Ich entschließe mich dann schweren Herzens, wieder ins Hotel zu gehen. An den Gestank in den Straßen gewöhnt man sich erstaun­lich schnell.

Das Hotel, in dem ich wohne, ist neben dem “Great Eastern Hotel“ das einzige, das für Europäer tragbar ist. Tagespreis ein­schließlich Verpflegung Rs 55,- DM 49,-. Gesegnete Preise. Herr M. nimmt mich in seine Wohnung mit. Gutes Abendessen, Whisky - Soda und schon wird es Zeit. Der Zug, der mich nach Rourkela bringen soll, fährt um 21 Uhr vom Bahnhof Calcutta ab. Herr M. bringt mich mit seinem Wagen hin. Der Bahnhof gleicht einem Jahrmarkt. Geschrei und Gezeter (weshalb, ist mir unklar), schlafende Gestalten mit Tüchern zugedeckt‚ die man kaum von Bündeln und Säcken unterscheiden kann, die überall herumlie­gen. Man fährt dort mit dem Auto bis zum Bahnsteig. Wir erfragen den Zug und finden ihn. Für mich ist ein klimatisiertes Abteil (Schlafabteil) reserviert. Im Abteil nebenan finde ich meinen Monteur wieder, der neben mir im Flugzeug saß. Immer mehr Deutsche treffen sich, die alle nach Rourkela wollen. Herr M. schärft mir noch ein, ich solle mir im Zug zum Frühstück zwei hart gekochte Eier bestellen, das wäre das Reellste. Dann er­tönen die Abfahrtssignale, Herr M. steigt aus und der Zug rollt. Ich bin hundemüde, nachdem ich letzte Nacht nur wenig schlafen konnte. Ich lasse mir das Bett richten. Die Tür zum Nachbarabteil bleibt offen. Ich bin mit dem dort wohnenden Monteur einig, dass wir Diebstahlsversuche, wie sie hier massenhaft vor­kommen sollen, gemeinsam heldenhaft abschlagen werden.

Ich strecke mich aufs Lager und überdenke den Tag. Von Cairo bis Calcutta - ein neues Land, andere Menschen - beinahe zu­viel. Gestern soll ich noch in Karlsruhe gewesen sein? Es kommt mir vor, als ob es einen Monat her wäre, dass ich aus Deutsch­land fortgegangen bin.


 
 
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